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Liber Primum


Buch der Gleichnisse
Liber Primum
Liber Secundum
Liber Tertium


LI-I
Einst wanderte ich über die Weiten Ebenen Eglins, in Richtung der weiten Wälder Amatyrills, die mir Labsal und Schatten spenden sollten. Doch als ich mich einem Fluss näherte stieg von ihm Nebel auf, und ich verlor meinen Weg. Ich irrte durch den Nebel, und strauchelte oft. Als ich an einer Wurzel fiel, half mir plötzlich eine starke hand auf. Ein Mann in unscheinbaren Gewand, mit schütterem Haar half mir auf. Er sprach: ? Du hast den Weg verloren, mein Freund. Am morgen wirst Du ihn wiederfinden. Doch in der Zwischenzeit, suche nicht den Weg, denn der Weg wird dich finden. Aber merke auf, denn jedes Wort, das Dir heute zuteil wird, ist eine Offenbarung des Herrn.? Und der Wanderer wandte sich um, und ehe ich mich versah, hatte ihn der Nebel verschlungen. Da sah ich plötzlich ein Licht, auf das ich zuwanderte, und als ich die letzten Äste eines Gebüschs beiseite schieben wollte, sah ich, dass ich mich einem Feuer näherte, an dem verschiedene Wesen saßen, Elfen, Zwerge, Halblinge, Echsen und Menschen, alle umgeben von einem glänzenden Schein. In ihrer Mitte saß ein Engel, dem sie alle Geschichten erzählten. Ich aber verbarg mich, und schrieb, den Worten des Wanderers eingedenk, nieder, was sie dem Lichten kund taten.

LI-II
Einst herrschte ein weiser König, der war gerühmt für seine Gerechtigkeit. In seinem Land lebten zwei Bauern, die ihm Streit miteinander lagen. Der König war sehr erzürnt über ihren Streit, und verbannte sie aus seinem Land.
Die Söhne des einen begannen zu streiten, wer denn der würdigste sein, seinem Vater nachzufolgen, und in ihrem Streit verdarb der Hof.
Die Söhne des anderen Bauern jedoch folgten dem Worte ihres Vaters und bauten und pflegten den Hof gemeinsam, und der Hof wuchs und gedieh.
Eines Tages ritt der König durch seine Länder, und sah den verwahrlosten Hof, und daneben die blühenden Felder eines andren. Er fragte seine Begleiter, was denn hier geschehen sei, und die Begleiter erinnerten ihn an die beiden Bauern. Der König war erstaunt ob der weisen Söhnen des Bauern, die nicht im Streit den Hof zuschanden kommen ließen.
Da ließ der König einen Boten ausschicken, um den Vater der weisen Söhne zurückzuholen, und er gab den Söhnen auch noch den Hof der törichten Söhne zum Geschenk.
Die törichten Söhne aber lies er mit Knüppeln aus seinem Lande jagen.

LI-III
Einst stiegen zwei Schäfer empor auf eines Berges Spitze, um ein Schaf zu finden, dass sich verlaufen hatte. Da fanden sie einen Wanderer, der den Berg hinab gestürzt war, und mit gebrochenem Rückgrat im Fels lag. Die beiden wollten eilen, um ihm Hilfe zu bringen. So stiegen sie den Berg hinab.
Doch plötzlich zog Nebel auf, und die Schäfer konnten kaum zehn Schritt weit sehen. Der eine Schäfer sprach: ?Der Verletzte wird wohl sterben, wenn wir nicht weitergehen!? Der Andere entgegnete ?Wahrlich, der Verletzte wird wohl sterben, doch nur wenn wir ihm keine Hilfe bringen können.? So ging der eine weiter in den Nebel, der andere setzte sich und wartete bis der Nebel sich lichtete. Als er sich gelichtet hatte, brach er auf und erreichte alsbald das Dorf, und machte sich mit dem Heiler erneut auf den Berg.
Angekommen war der Wanderer bald genesen, und zu dritt machten sie sich auf, als sie den zweiten Schäfer mit gebrochenem Hals fanden, der im Nebel zu Tode gestürzt war.

LI-IV
Einst lebter in einem Dorf eine einsame Witwe, ihr harter und grausamer Mann hatte Ihr nichts hinterlassen außer einer handvoll Kinder und einer armseligen Hütte, in der sie mehr schlecht als recht ihr Leben fristete. Die Kinder liefen schmutzig einher, und waren einander und zur Mutter grausam. Eines Tages kam ein mildtätiger Ritter des Weges, der die Frau und ihre Kinder in all dem Schmutz erblickte. Er stieg ab vom Pferde, saß die matte Witwe auf sein Pferd, wies die Kinder an ihm zu folgen und führte sie in seine Burg. Dort gab er ihnen Platz zu leben, und er und seien Frau nahmen die Witwe auf und erzogen die Kinder als wären es die ihren. Und obgleich viele auch die Grausamkeit ihres Vaters in sich trugen, wurden sie doch von der Güte des Ritters geleitet zu tapfern, aufrechten und gerechten Recken.

LI-V
Einst, als die Welt noch in Dunkelheit gefangen war, stritten zwei Krieger gegeneinander. Der Eine obsiegte, und ließ den andren verstümmelt zurück. Als abe durch Bahamuths Erkenntnis das Licht die Schöpfung erhellte, fand der Siegreiche eines Tages einen Krüppel abseits des Weges. Ersprach zu ihm: ?Welch Schicksal hat dich getroffen, Freund, dass Du der Kröte gleich mit dem Bauch auf dem Boden dahinkriechst ?? Der Krüppel aber erkannte die Stimme seines alten Gegners und antwortete: ?Deine Klinge war e, die mir die Beine raubte?. Da fiel der Krieger auf die Knie und weinte, er sprach: ?Verzeih mir, Freund, dass ich Dir deine Stärke raubte, lass mich Dir ein Obdach bieten.? ?Der Krüppel aber sprach: ?Gerne verzeih ich Dir, Freund, denn durch das Erkennen deines Unrechts hast Du ein Gewicht auf deine Seele geladen, das viel schwerer wiegt als mein Leiden. Und selbst mein Verzeihen kann es Dir nicht entreißen.? Der Krieger bedachte dessen Worte in seinem Herzen und antwortete: ?Dass Du mein Bedauern annimmst, erleichtert meine Seele, und ich weiß, dass der Herr Bahamuth meine Seele gänzlich reinwaschen wird, so ich vor den Toren der goldenen Stadt stehe.?
Da öffnete sich der Himmel, und Bahamuth sprach zu beiden: ?Ihr habt erkannt, und ich sage Euch: Ein Jeder, der seine Sünden bereut und bekennt, dem werden sie von de Seele gewaschen, wenn er die goldene Stadt betritt. Die aber, die er nicht bereut und bekennt, die werden auch in der goldenen Stadt auf seiner Seele liegen.?
Da nahm der Krieger den Krüppel in die Arme, küsste ihn, sprach: ?Ich danke Dir, Freund, dass Du mir geholfen hast meine Seele reinzuwaschen, lass mich Dich in mein Haus aufnehmen und Dich auf ewig an meinem Herdfeuer wärmen.?

LI-VI
Einst belud ein Bauer seinen Esel schwer mit Kornsäcken, so viele wie der Esel gerade noch tragen konnte. Auf dem Weg zum Markt traf er einen Wanderer, und fragte ihn, wie lange er dorthin brauchen würde.
Der Wanderer sprach: ?So du langsam gehst, wirst Du noch vor Mittag ankommen, wenn Du eilst, wirst Du ihn kaum heute erreichen.?
Der Mann verstand diesen seltsamen Rat nicht, so trieb er seinen Esel an, und die Säcke fielen herab, so musste er anhalten und den Esel neu beladen. Und um den Zeitverlust aufzuholen, eilte er weiter, und in der Eile verlor der Esel erneut die Säcke. Dies wiederholte sich den ganzen Tag lang, und der Bauer erreichte den Markt erst spät Nachts.

LI-VII
Einst waren zwei Ritter unterwegs zur Hochzeitsfeierlichkeit eine Freundes. Da brach ein Steg unter ihnen zusammen, und beide stürzten in einen schlammigen Bach. Da blickten sie einander an und sprachen: So können wir nicht zu unserem Freunde kommen, schlammverschmiert und stinkend. Da dachte der eine bei sich: Ich werde dort im Flusse mich und meine Sachen reinwaschen., der andre jedoch: Ich werde zu meinem Freunde senden lassen, ihn von meinem Unglück berichten und ihn um Hilfe bitten. So saß der eine nieder, und begann mit seinem Knappen seine Kleider im Fluss zu waschen. Der andre jedoch schickte seinen Knappen voran, und ritt gemächlich weiter. Schon bald kehrte sein Knappe zurück, und brachte ihm Kunde von seinem Freund, der ihm sagte: Gräme Dich nicht ob deines Unglücks, komm zu mir, ich werde Dir ein Bad bereiten lassen und neue Kleidung, auf dass Du den Schmutz der Reise abwaschen kannst. So kam er an, und sein Freund bereitete ihm ein Bad, und kleidete ihn in herrliche Kleider. So saßen sie an der herrlichen Tafel der Hochzeit. Da kam der eine Ritter herbei, seine Kleidung nass und immer noch voller Schlamm, und die ganze Gesellschaft lachte über ihn, weil er nicht seine Last dem berichtet hatte, der ihn geladen hatte.

LI-VIII
Einst war ein Fischer auf dem Meer, da kam ein Sturm, und zerbrach ihm den Mast. Da trieb der Fischer auf dem Meer, und sein Boot war ein Opfer der Strömung und der Wellen. Tag um Tag verging, und er saß alleine im salzigen Ozean. Da sah er am Horizont ein Segel, und er rief und winkte in der Hoffnung, dass der andre Segler ihn sehen möge. Doch das Segel verschwand wieder unter dem Horizont. So war der Fischer wieder allein, das Trinkwasser war ihm ausgegangen, und wartete auf seinen Tod. Da sah er erneut ein Segel am Horizont, und da er seinen Tod kommen sah, steckte er sein Schiff in Brand. So stieg also Rauch auf und der andre Segler erkannte das Schiff, brachte sein Boot herbei und rettete den Fischer. Und der Segler sprach: Da du bereit warst, alles zu geben was Dir verblieben war, bist du errettet worden. So wisse, nur wer bereit alles zu geben, wird etwas erreichen.

LI-IX
Einst belagerte ein König die Feste seines Feindes. Die Feste war hoch und fest, ihre Brunnen waren klar und tief, die Keller geräumig und gefüllt, die Krieger des Feindes waren hochgewachsen und kräftig. Der König wusste, dass er die Feste nicht einnehmen konnte. Da traf es sich, dass einer der Krieger des Feindes sich des Nachts über einen geheimen Weg aus der Feste verließ, und dem König anbot, ihm die Feste zu öffnen, auf das er die Krieger des Feindes erschlüge.
Und der König hörte ihm zu, ließ sich von dem Krieger die Feste öffnen und erschlug seinen Feind.
Da kam der verräterische Krieger zu ihm und sagte: ?Herr, lass mich dein Diener sein, denn Du bist der Herr dieser Festung.? Der König aber sprach: ?Du hast mir geholfen, meinen Feind zu besiegen. Dafür sei Dir Dank gegeben. Aber Du bist ein Veräter. So nimm diesen Beutel Gold, und geh weg. Mein Haus hat kein Lager für einen Treulosen.?
So ließ der König den Krieger von seinem Land prügeln, und er kehrte nie wieder

LI-X
Einst stand ich in einer Halle, in deren Mitte zwei Sträucher sprossen. Der eine war ein dorniger Rosenstrauch mit prächtigen Blüten, der andere ein kümmerliches Gewächs mit braunen Knospen.
Eine Blüte wird dir die Pforte öffnen! hörte ich eine Stimme rufen und es war die Stimme Bahamuths.
Da nahm ich eine der prächtigen Rosen und schritt mit ihr zu dem Tor, das die Halle verschloß. Doch mit jedem Schritt, den ich tat, verlor die Blute an Kraft. Da glaubte ich zu erkennen und lief zurück. Ich warf die vertrocknete Rose hinfort und nahm eine der braunen Knospen. Ich schritt erneut zum Tor, doch die Knospe brachte keine Blüten hervor.
Da hörte ich zum zweiten Male die Stimme Bahamuths.
Wie glaubst Du zu wissen, welcher Strauch der richtige ist ? Denn sieh, beide sind sie unvollkommen. Es gibt nichts, das allein für sich vollkommen ist.
Da brach ich von beiden Sträuchern einen Zweig und wandte mich zum dritten Male dem Tor zu. Und als die Rose auf dem Wege dorthin verblühte, brach die Knospe auf und die Flügel des Tores schwangen zurück.

LI-XI
Einst zogen Wanderer gemeinsam durch die Lande, und als sie der Hunger peinigte, trennten sie sich, um nach Essen zu suchen. Der eine kam bei einem Bauern unter, der ihm anbot, ihn zu speisen, so er denn seinen Stall ausmiste. Der Wanderer willigte ein, und so betrat er den Stall, und ihm wurde übel ob des Geruchs. Aber da sein Magen leer war, begann er den Mist vieler Tage aus dem Stall zu schaufeln. Und mit jeder Schaufel wurde ihm leichter, und er der Gestank der Exkremente lies immer mehr nach. Der Wanderer dachte bei sich: Mit jeder Schaufel Mist, die auf dem Haufen landet, wird die Luft im Stall besser. Und so mistete er dem Stall aus, und traf sich abends mit seinem Kameraden. Stolz berichtete er von seinem Werk, und nach einiger Zeit in der Schenke führte ihn in den Stall, um ihn zu zeigen, wie sauber dieser sei und wie wenig er noch roch. So betraten beide den Stall, und Übelkeit erfasste beide, da der Geruch ihnen den Atem nahm. Da verstand der Wanderer: Der Gestank war immer um mich, und ich gewöhnte mich an seine Gegenwart, und nahm ihn deshalb nicht wahr. Jetzt, da ich wiederkehre, und meine Nase frei ist, erkenne ich ihn.

LI-XII
Einst zog ein Hirte mit seiner Schafherde durch Jerda. Der Sommer, in dem er durch Jerda zog, war ein sehr heißer, und ein Rudel Wölfe umlauerte seine Herde. Jede Nacht näherten sich die grauen Jäger seinen Schützlingen, und jeder nacht vertrieb er sie mit seinen Hunden und Steinwürfen. Aber jeden Morgen erwachte er mehr müde als den letzten, und ihm war klar, dass er eines Tages ein Schaf aus der Herde verlieren würde, denn er konnte nicht jede Nacht durchwachen. So erinnerte er sich an die Worte seines Lehrmeisters, der ihm für einen solchen Fall geraten hatte, ein Schaf im Wald anzubinden, auf das es den Hunger der Wölfe stillen und die andren Schafe retten würde. Der Schäfer aber sann auf eine andre Lösung:
Als sich die Räuber des Nachts näherten, nahm er das Flies eines Schafes und ein Messer, und verbarg sich als Schaf verkleidet abseits der Herde. Als sich die Wölfe daran machten, das vermeintlich einfache Opfer zu reißen, griff er sein Messer und erstach den Wolf. Das Rudel aber machte sich über den Toten Bruder her und tat sich an ihm gütlich, und verlies satt die Herde, und der Schäfer zog in Frieden weiter.

LI-XIII
Einst gab es in einem Wald einen Haufen Läuse, die erzählten sich die Geschichte vom dem Hirschen, in dessen Fell sie dereinst gelebt hatte. Und sie erzählten, dass der Hirsch groß gewesen sei, das größte aller Tiere im Wald, und prächtig, und auf seinem großen Felle hätten Hunderte von Läusen glücklich leben können.
Und eine der Läuse dachte bei sich: Ich werde mich aufmachen und den Hirsch finden, dass große Tier, das vielgerühmt ist unter den meinen.
Und so machte er sich auf, und streifte durch den Wald, und fand die Maus, die war viel größer als er, und hatte ein prächtiges Fell. Da fragte er das Tier: Herr, darf ich Dir dienen, denn ich habe viel von deiner Herrlichkeit erfahren, in deinem Fell können viele glücklich leben? Da sprach die Maus: Gerne darfst Du mir dienen, so spring auf mich und reise mit Mir, so ich dich brauche, werde ich Dich rufen. Und die Laus sprang auf sein Fell, und lies sich von ihm tragen. Da begegnete die Maus eines Tages dem Fuchs, und die Laus dachte sich: ?Mein Herr ist gar nicht der Hirsch, denn dieses Tier ist sehr viel größer als der mein Herr.? So verließ er die Maus und sprach zum Fuchs: ?Herr, darf ich Dir dienen, denn ich habe viel von deiner Herrlichkeit erfahren, in deinem Fell können viele glücklich leben?? Da sprach die Maus: ?Gerne darfst Du mir dienen, so spring auf mich und reise mit Mir, so ich dich brauche, werde ich Dich rufen?. Und die Laus sprang auf sein Fell, und lies sich von ihm tragen. Da begegnete die Maus eines Tages dem Wildschwein, und die Laus dachte sich: ?Mein Herr ist gar nicht der Hirsch, denn dieses Tier ist sehr viel größer als der mein Herr.? So sprach es zum Wildschwein: ?Bist Du der Hirsch, den ich schon lange suche, denn er soll groß sein, das größte aller Tiere im Wald, und in seinem Fell sollen viele von den meinen gut leben können.? Da sprach das Wildschwein: ?Nein, der Hirsch bin ich nicht. Der Hirsch ist vor langer Zeit aus dem Wald gegangen. Aber er wird wiederkehren, und Du wirst ihn an seinem Geweih erkennen. Wisse, das nicht jedes Tier, dass größer ist als Du, der Hirsch ist. Sei Wachsam, denn sonst wirst Du nicht den wahren erkennen, den Du suchst.?

LI-XIV
Einst lud ein Fürst einen großen Musiker an seinen Hof. Der spielte sein Instrument mit solcher Kunst, daß dem Fürst die Tränen in die Augen stiegen, und der Fürst sprach zu seinem Kanzler: "Sieh, welch Talent dieser Mann hat, er spielt sein Instrument mit solcher Kunst, daß mir die Tränen in die Augen steigen". Der Kanzler sprach: "Herr, es ist nicht sein Talent, daß Dir Tränen in deine Augen steigen lässt, es ist die Hingabe mit der er sein Geschick vermehrt hat."
Da sprach der Fürst: "Narr, was wagst Du zu behaupten, ein Mensch könen sich aus eigener Kraft so etwas aneignen!", und er befahl, den Kanzler in den Kerker zu werfen. Und um seine Pein zu vergrößern, befahl er, den Kanzler mit einem Kalb in die Zelle zu schliessen.
Der Kanzler aber, er begann, in der Einsamkeit seiner Zelle, das Kalb zu heben und einher zu tragen. Und das Kalb wuchs zum Stier, und mit ihm wuchs die Kraft des Kanzlers, so daß er eines Tages den Stier tragen konnte.
Nach Jahren kam dem Fürst zu Ohren, daß es einen Gefangenen gäbe, der solche Kraft besäße, daß er einen Stier tragen könne. Er lies sich den Gefangenen vorführen, und sah zu seiner Verwunderung seinen alten Kanzler vor sich. Da sprach der Fürst: "Ich wusste nicht, daß Du ein solches Talent in Dir ruht!" Der Kanzler aber erwiederte: "Nein, Herr, es ist nicht mein Talent. Es ist Deine Gnade, die mir die Möglichkeit gab, dies zu vollbringen. Aber es ist die Übung und meine Stärke und Beharrlichkeit, die mich dies vollbringen liess."
Da stiegen dem Fürst Tränen in die Augen, und er begnadigte den Kanzler und gab ihm sein altes Amt wieder.


LI-XV
Einst fragte einen Weisen einmal seine Schüler:
"Du stehst nun schon so lange vor diesem Fluss und schaust ins Wasser.
Was siehst du denn da?" Der Weise gab keine Antwort. Er wandte den Blick nicht ab
von dem unablässig strömenden Wasser. Endlich sprach er:
"Das Wasser lehrt uns, wie wir leben sollen. Wohin es fließt, bringt es
Leben und teilt sich aus an alle, die seiner bedürfen.
Es ist gütig und freigiebig.
Die Unebenheiten des Geländes versteht es auszugleichen:
Es ist gerecht.
Ohne zu zögern in seinem Lauf, stürzt es sich über Steilwände in die Tiefe.
Es ist mutig.
Seine Oberfläche ist glatt und ebenmäßig,
aber es kann verborgene Tiefen bilden.
Es ist weise.
Felsen, die ihm im Lauf entgegenstehen, umfließt es.
Es ist verträglich.
Aber seine Kraft ist Tag und Nacht am Werk, das Hindernis zu beseitigen.
Es ist ausdauernd.
Wie viele Windungen es auch auf sich nehmen muss,
niemals verliert es die Richtung zu seinem ewigen Ziel, dem Meer, aus dem Auge.
Es ist zielbewusst.
Und sooft es auch verunreinigt wird, bemüht es sich doch unablässig,
wieder rein zu werden.
Es hat die Kraft, sich immer wieder zu erneuern.
Das alles, sagte der Weise, ist es, warum ich auf das Wasser schaue.
Es lehrt mich das rechte Leben!"

LI-XVI
Einst begehrte ein Ritter die gar wundervolle Frau eines Bauern. Der Bauer hatte keinen großen Hof, doch eine liebevolle Frau die ihm schon zwei Kinder schenkte. Der Ritter hatte zwar eine kleine Burg und ein Gefolge, doch die Frau an seiner Seite fehlte. So nahm er sich die Frau und die Kinder des Bauern, zog die Kinder auf wie seine eigenen und ließ die Frau nicht aus der Burg. Der Bauer zog zornig zu der Burg des Ritters und wollte seine Frau zurück, doch dieser verhöhnte ihn nur. Rasend vor Zorn forderte der Bauern den Ritter zum Duell. Dieser nahm es übermütig an, da er besser ausgebildet war und bessere Ausrüstung besaß.
Am Duellplatz dachte der Ritter, er könne den Bauern leicht besiegen, doch dieser trug die Libe zu seinem Weib in sich und kämpfte mit unglaublicher Kraft, so besiegte er den Ritter und schickte ihn zu den Toten. Darauf war die Frau wieder frei, sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende und gebaren noch viele Kinder.


LI-XVII
Von der Schwierigkeit, es allen Recht zu machen
Einst ritt ein Ritter auf seinem Streitross und neben ihm lief sein Knappe. Da rief ein Bauer empört: "Schaut euch den an. Der lässt seinen Knappen neben dem Streitross herlaufen". Der Ritter stieg ab und setzte seinen Knappen auf das Pferd.
Kaum waren sie ein paar Schritte gegangen rief ein anderer: "Nun schaut euch die beiden an. Der Knappe sitzt wie ein Herr auf dem Ross und der prächtige Ritter muss laufen".
Nun setzte sich der Ritter zu seinem Knappen auf das Streitross:
Doch nach ein paar Schritten rief ein weiterer empört: "Jetzt schaut euch die Beiden an. So eine Tierquälerei". Also stiegen beide herab und liefen neben dem Ross her.
Doch sogleich sagte ein anderer belustigt: "Wie kann man nur so blöd sein. Wozu habt ihr ein Ross, wenn ihr es nicht nutzt."
So vernehmt die Lehre Bahamuths:
Wir können es nie allen Menschen Recht machen, gleichgültig wie sehr wir uns auch anstrengen. Deshalb macht es auch keinen Sinn, sich zu fragen, ob alle anderen gut finden, was wir tun.
Die anderen sind nicht der Maßstab.
Alleine das Wort und die Gnade Bahamuths können uns leiten das Richtige zu tun.

LI-XVIII
Einst traf ein Wanderer auf einen Schäfer. Er fragt diesen, wie wohl das Wetter in den nächsten Tagen werden würde. Der Schäfer antwortet: "So, wie ich es gerne habe". "Woher weißt du, dass das Wetter so werden wird, wie du es magst", fragte der Wanderer.

"Sehr einfach", antwortete der Schäfer. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich nicht immer das bekomme, was ich möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. Deshalb bin ich mir sicher, dass das Wetter so wird, wie ich es mag".
Am nächsten Tag zog ein schweres Gewitter herauf, und ein Blitz tötete den Schäfer.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Nehmet nicht alles einfach hin, Bahamuth liebt nicht die leichtlebigen, sondern die, die immerzu nach höherem streben.

LI-XIX
Einst fand ein Bauer bei einem Spaziergang das Ei eines Adlers. Er nahm es mit nach Hause und legte es zu den Eiern einer Henne. Zusammen mit den Küken schlüpfte der Adler. Er wuchs mit ihnen auf und verbrachte sein ganzes Leben mit ihnen. Er lernte mit den Füßen zu scharren, Körner zu picken und zu gackern. Gelegentlich tat er es auch den Hühnern gleich, flatterte etwas mit den Flügeln und flog ein paar Meter.

Eines Tages sah er am Himmel einen wunderschönen Vogel, der anmutig und kraftvoll durch die Lüfte flog. Was ist das, fragte er die Hennen. Das ist ein Adler, der König der Lüfte, sagten diese.
Du bist eine Henne und kannst nicht fliegen. Der Adler, der sich für eine Henne hielt, begnügte sich damit und starb eines Tages in dem Glauben, eine Henne zu sein.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Ganz gleich, was andere über euch sagen, Bahamuth alleine weiß, was ihr wirklich seid. So lebt immer vom Wunsch beselt, mehr als nur euer Bestes für Bahamuth zu geben.

LI-XX
Einst, als die glutrote Sonne am Horizont dem Tag langsam entschwinden wollte, ging eine kleine zerbrechlich wirkende Frau einen staubigen Feldweg entlang.
Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.
Fast am Ende dieses Weges, saß eine zusammengekauerte Gestalt, die regungslos auf den trockenen, ausgedörrten Sandboden hinunterstarrte.
Man konnte nicht viel erkennen, das Wesen das dort im Staub des Weges saß, schien beinahe körperlos zu sein. Es erinnerte an eine graue aber weiche Wolldecke mit menschlichen Konturen.
Als die kleine zerbrechlich wirkende Frau an diesem Wesen vorbeikam, bückte sie sich ein wenig und fragte:
"Wer bist du?"

Zwei fast regungslose Augen blickten müde auf.
"Ich? Ich bin die Traurigkeit." flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass man sie kaum zu hören vermochte.
"Ach, die Traurigkeit !" rief die kleine Frau erfreut, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit vorsichtig?
"Aber ja, natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast Du mich ein Stück meines Weges begleitet."
"Ja, aber ...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht und nimmst reiß aus? Hast du denn keine Angst vor mir ?"
"Warum sollte ich vor dir davonlaufen ? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Man kann dir nicht entkommen. Aber, was ich dich fragen möchte: Warum siehst du so betrübt und mutlos aus ?"
"Ich ... ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit klangloser Stimme. Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr.
"Traurig bist Du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so sehr bedrückt."
Und die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.
"Ach, weißt du", begann die Traurigkeit zögernd, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Niemand will mich. Dabei ist es doch nun mal meine Bestimmung unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber jedesmal wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich."
Die Traurigkeit schluckte schwer.
"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich verstoßen wollen. Sie sagen: Ach was, das Leben ist heiter und fangen an zu Lachen. Aber ihr falsches erzwungenes Lachen führt zu Magenkrämpfen. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken, im ganzen Körper. Verkrampft sind sie. Sie drücken die Tränen tief hinunter und haben Atemnot. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Dabei sprengen die aufgestauten Tränen fast ihre Köpfe. Manchmal können sie dadurch nicht mal mehr Sprechen. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol damit sie nicht fühlen müssen."
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen.
"Und dabei will ich den Menschen doch nichts Böses, ich will ihnen doch nur helfen. Denn wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen und zu heilen. Weißt du, wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut, und manches Leid bricht dadurch immer wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh.

Aber nur wer mich zu sich läßt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden erst wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich Ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grellen Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit und ewiger Enttäuschung zu. Ich glaube, sie haben einfach nur unbändige Angst zu weinen und mich zu spüren. Deshalb verjagen sie mich immer wieder."
Dann schwieg die Traurigkeit. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz innig und verzweifelt und die vielen kleinen Tränen tränkten den staubigen, ausgedörrten Sandboden.
Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkenen Gestalt tröstend in die Arme.
Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte das zitternde Bündel. "Weine nur, kleine Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst.
Du sollst nicht mehr alleine wandern. Ich werde auch dich von nun an begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."

Die Traurigkeit hörte zu weinen auf.
Sie sah zu ihrer neuen Gefährtin auf und betrachtete sie erstaunt:
"Aber ... aber, wer bist du eigentlich ?"
"Ich ...", sagte die kleine und zerbrechlich wirkende Frau und lächelte dabei wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen, " ... bin die Hoffnung!
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Ganz egal wie schlimm es auch um euch stehen mag, verlieret niemals die Hoffnung, denn Bahamuth alleine kennt den wahren Grund eures Schmerzes.

LI-XXI
Einst zogen zwei Knappen mit ihrem Ritter in die Schlacht.
Ein Bauer kam vorbei und fragte den einen, was er tue: "das siehst du doch, ich ziehe in die Schlacht und werde sterben" antwortete dieser mürrisch.
Kurz darauf fragte eine anderer Bauer den anderen Knappen das selbe: "Ich darf mit meinem Herrn in die Schlacht ziehen, um dem Licht zum Sieg zu verhelfen", antwortete dieser freudig.
In der Schlacht blickte der mürrische Knappe zu Boden, und sah so den Pfeil nicht, der ihm das Herz durchbohrte. Der andere jedoch sah den Pfeil auf seinen Herrn zufliegen, und rettete ihm das Leben.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Seid hoffnungsvoll und guter Dinge, Bahamuth hält seine schützende Hand über die Eifrigen.

LI-XXII
Einst holte der Tod einen König und einen Bauern.
Der Bauer war traurig, dass er zeitlebens ein armer Bauer geblieben war. Gerne wäre er reich geworden, hatte er doch immer hart gearbeitet. Bahamuth nahm den Bauern auf in die goldene Stadt.
Der König jedoch, der zeitlebens nie eigene Leistungen vollbracht, sondern nur von den Taten und dem Ruhm seiner Ahnen gezehrt hatte, wurde abgewwiesen.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Gib dich nie mit dem zufrieden was du hast, du kannst immer nach höherem streben, auch wenn es dir nicht im Leben gelingen möge. Bahamuth liebt die Eifrigen.

LI-XXIII
Einst hatte ein König zwei Söhne. Als er alt wurde, da wollte er einen der beiden zu seinem Nachfolger bestellen. Er versammelte die Weisen seines Landes und rief seine Söhne herbei. Er gab jedem der beiden fünf Silberstücke und sagte: "Füllt für dieses Geld die Halle in unserem Schloss bis zum Abend. Womit, das ist eure Sache."
Die Weisen sagten: "Das ist eine gute Aufgabe. Denn es ist eine sehr schwierige Aufgabe. Die Halle ist groß und was kann man schon für 5 Silberstücke kaufen, dass man sie füllen könnte?"
Der älteste Sohn ging davon und kam an einem Feld vorbei, wo die Arbeiter dabei waren, das Getreide zu ernten und zu dreschen. Er dachte sich: "Das ist eine gute Gelegenheit, mit diesem nutzlosen Zeug die Halle meines Vaters zu füllen." Mit dem Aufseher der Arbeiter wurde er einig und sie schafften bis zum späten Nachmittag das ausgedroschene Getreide in die Halle.
Als sie gefüllt war, ging er zu seinem Vater und sagte: "Ich habe deine Aufgabe erfüllt. Auf meinen Bruder brauchst du nicht mehr zu warten. Mach mich zu deinem Nachfolger. Der Vater antwortete: "Es ist noch nicht Abend. Ich werde warten."
Bald darauf kam auch der jüngere Sohn. Er bat darum, das ausgedroschene Getreide wieder aus der Halle zu entfernen. So geschah es. Dann stellte er mitten in die Halle eine Kerze und zündete sie an. Ihr Schein füllte die Halle bis in die letzte Ecke hinein.
Der Vater sagte: "Du sollst mein Nachfolger sein. Dein Bruder hat fünf Silberstücke ausgegeben, um die Halle mit nutzlosem Zeug zu füllen. Du hast nicht einmal ein Silberstück gebraucht und hast sie mit Licht erfüllt. Du hast sie mit dem gefüllt, was die Menschen brauchen." .
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Man kann mit wenig viel erreichen, wenn man seinen Verstand benutzt und auf sein Herz hört.

LI-XXIV
Einst in einer kalten Winternacht, kam ein kranker Bettler an den Hof eines reichen Bauern. Der reiche Bauer jagte in weiter, schließlich müsse er am Morgen wieder hart für seine Tiere arbeiten.
So schlich sich der Bettler zum Knecht des reichen Bauern. Dieser nahm den Bettler auf, bereitete ihm ein bescheidenes Mahl und kümmerte sich die ganze Nacht um die Wunden des Bettlers.
Als der Knecht jedoch am Morgen müde war, fragte der Bauer seinen Knecht, weshalbe r so müde sei. Dieser antwortete: "Die ganze Nacht habe ich mich um einen armen, kranken Bettler gekümmert." Daraufhin wollte der Bauer den Knecht von seinem Hof jagen. Da erschien ein helles Licht, anstatt des kranken Bettlers stand der Engel Bahamuth vor ihnen, und verrichtete die Arbeit des müden Knechtes.
Darauf schämte sich der reiche Bauer sehr, und jagte den Knecht nicht vom Hof.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Wer selbstlos ist, hat Zeit zu allen Stunden, auch wenn er eigentlich schlafen müsste.

LI-XXV
Einst war ein Bauer, der hatte viele Weinberge. So sandte er Knechte, das sie seine Weinberge richteten. Und er ging seines Weges und vertraute auf die Knechte. So ging Jahr um Jahr ins Land, und eines Tages kehrte er zurück zu seinem Weinberge, um zu sehen was seine Knechte verrichtet hatten. Er klopfte an das Tor des Weinberges und rief: "Öffnet auf, Euer Herr ist hier. Lasset mich sehen, welch Werk ihr an meinem Weinberge verrichtet habt!" Doch die Knechte taten nicht das Tor auf, wie der Herr sie geheißen hatte, sondern bewarfen ihn mit Mist und Steinen.
Da rief der Herr empört: "Öffnet auf, denn dies ist mein Weinberg, und alles was darin ist, ist mein, und ihr seid meinen Knechte!" Doch die warfen weiterhin mit Mist und Steinen. Und so ging er zum Nachbarn, und bat ihn: "Meine Knechte verschließen die Tür meines Weinberges vor mir, und fordere ich sie auf zu öffnen, bewerfen sie mich mit Steinen und Mist." Sein Nachbar sprach: "Schlechte Knecht hast Du Dir gewählt, doch will ich Dir helfen. Warte nur, bis ich meine Knechte versammelt habe, dann wollen wir das Tor einreißen und die Schädel der schlechten Knechte zerschlagen." So gab der gute Bauer dem betrogenen ein Nachtquartier, währende dieser seine Knechte versammelte.
Und da die Knechte versammelt waren, zogen sie los, brachen die Tore auf und erschlugen die bösen Knechte.


LI-XXVI
Einst waren viele Priester verzweifelt ob der scheinbaren Übermacht der dunklen Mächte. Sie fürchteten um den Beistand der Gläubigen. In dieser Stunde der tiefsten Verzweiflung erschien der Engel Bahamuths unter ihnen.
Er hielt in der Hand einen Beutel Kupfertaler und fragte, wer diesen haben wolle.
Fast alle hoben die Hände.
Da nahm der Engel den Beutel, und warf ihn in einen Schweinestall.
Wieder fragte er, wer den Beutel haben wolle.
Wieder hoben fast alle die Hände.
Da nahm der Engel den Beutel, und warf ihn in die tiefste Jauchegrube.
Wieder fragte er, wer den Beutel haben wolle.
Wieder hoben fast alle die Hände.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Auch wenn der Beutel verdreckt und beschmutz ist, so hat er doch seinen Wert behalten. Genau so ist es auch mit den Menschen. Manchmal mögen sie ihren Muth verlieren, oder uns alt und dreckig erscheinen. Sie verlieren jedoch niemals ihren Wert.


LI-XXVII
Einst fragte ein weiser Priester seine Novizen nach den sieben größten Wundern.
Die Novizen berichteten über Dinge wie den großen Damm der Mittellande, die Brücke über den Kasch, den trockengelegten Sumpf bei Lugosh, die Hafenmauer die die Häfen vor dem nördlichem Eismeer schützt und viele solcherlei erstaunliche Wunder.
Eine Novizin jedoch hatte folgendes aufgeschrieben:
Ich denke, die sieben Weltwunder sind:
1. Berühren zu können
2. Schmecken zu können
3. Sehen zu können
4. Hören zu können
5. Laufen zu können
6. Lachen zu können
7. Lieben zu können
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Ist nicht der Mensch das größte Wunder der Welt, und vereint er nicht so viele Wunder, als dass wir ihn nur ehrfürchtig bestaunen müssten? So ist jedes einzelne Leben unersetzbar und wertvoll, dass es zu schützen und zu achten gilt.

LI-XXVIII
Einst wollten vier Gelehrte, die blind waren,herausfinden, wie ein Elefant aussieht.
Der erste Weise ertastete den Rüssel des Elefanten und meinte,
dass ein Elefant wie ein langer Arm aussehen müsse.
Der zweite Gelehrte ertastete das Ohr und meinte,
ein Elefant sei wie ein großer Fächer.
Der dritte Gelehrte, der die Beine ertastete,
meinte, ein Elefant sei wie die Säulen eines Palastes.
Der vierte Weise, der den Schwanz ertastete,
beschrieb den Elefanten als ein dickes langes Seil.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Uns geht es wie den blinden Gelehrten. Wir handeln im Sinne der fünf Tugenden Bahamuths und denken, immer in seinem Sinn zu handeln. Doch Genau so wenig, wie die blinden Gelehrten den Elefant beschreiben können, so wenig können wir die fünf Tugenden Bahamuths vollständig erfüllen, so sehr wir uns auch Mühe geben.


LI-XXIX
Einst brachte ein sehr weiser Priester seinen Novizen eine Reihe von Gegenständen mit: einen großen Eimer, große Steine, kleine Kieselsteine und Sand.
Er füllte den Eimer bis oben hin mit den großen Steinen und fragte die Novizen:
"Ist der Eimer voll?". Die Novizen bejahten dies.
Nun schüttete der Priester Kieselsteine in den Topf, bis diese alle Zwischenräume ausgefüllt hatten.
Wieder fragte er: "Ist der Eimer nun voll?" Und wieder bejahten die Novizen dies.
Nun schüttete der Priester Sand in den Eimer, bis auch die kleinsten Hohlräume ausgefüllt waren.
"Nun", sagte der weise Priester, "der Eimer symbolisiert euer Leben.
Die großen Steine stehen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben, wie eure Gesundheit, eure Familie, eure Kinder, eure Freunde.
Wenn ihr nur diese Dinge hättet und alles andere verloren ginge, dann wärt ihr trotzdem noch sehr reich und euer Leben wäre erfüllt.
Die Kieselsteine stehen für die Dinge wie euer Haus, euer Vieh, eure Arbeit.
Der Sand symbolisiert all die anderen Dinge wie etwa neue Kleider, Möbel, Schmuck, Kriegskunst.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Wenn Ihr den Eimer zuerst mit Sand füllt, dann ist für nichts anderes mehr Platz in ihm.
Dasselbe trifft auf euer Leben zu. Wenn ihr eure Energie und Zeit dafür aufwendet, Kleinigkeiten anzusammeln, dann habt ihr keinen Platz mehr für die wichtigen Dinge in eurem Leben und euer Leben wird nicht wirklich erfüllt sein. Achtet also darauf, dass ihr eure Zeit und Energie zuerst für die wichtigen Dinge verwendet.

LI-XXX
Einst geschah es, dass im Schoß einer Mutter Zwillingsbrüder heranwuchsen.
Die Wochen vergingen und die Knaben wurden größer.
"Sag ist es nicht großartig, dass wir empfangen wurden?"
Die Zwillinge begannen ihre Welt zu entdecken.
Als sie die Schnur fanden, die sie mit ihrer Mutter verband und ihnen Nahrung gab, da sangen sie vor Freude:
"Wie groß ist die Liebe unserer Mutter, dass sie ihr eigenes Leben mit uns teilt!"
Als die Wochen vergingen und schließlich zu Monaten wurden, merkten sie plötzlich , wie sehr sie sich verändert hatten.
"Was soll das heißen?" fragte der eine.
"Das heißt", antwortete ihm der andere,
"dass unser Aufenthalt in dieser Welt bald seinem Ende zugeht."
"Aber ich will nicht gehen", erwiderte der eine, "ich möchte für immer hier bleiben."
"Wir haben keine andere Wahl", entgegnete der andere, "aber vielleicht gibt es ein Leben nach der Geburt!"
"Wie könnte diese sein? ", wir werden unsere Lebensschnur verlieren,
und wie sollten wir ohne sie leben können? Und außerdem haben andere vor uns diesen Schoß verlassen, und niemand von ihnen ist zurückgekommen und hat uns gesagt, dass es ein Leben nach der Geburt gibt. Nein, dies ist das Ende!"
So fiel der eine von ihnen in tiefen Kummer und sagte:
"Wenn die Empfängniss mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben im Schoß? Es ist sinnlos. Womöglich gibt es gar keine Mutter hinter allem."
"Aber sie muss existieren". protestierte der andere.
"Wie sollten wir sonst hierher gekommen sein?
Und wie könnten wir am Leben bleiben?"
"Hast du je unsere Mutter gesehen?" fragte der eine.
"Womöglich lebt sie nur in unserer Vorstellung.
Wir haben sie uns erdacht, weil wir dadurch unser Leben besser verstehen können."
Und so waren die letzten Tage im Schoß der Mutter erfüllt mit vielen Fragen und großer Angst. Schließlich kam der Moment der Geburt.
Als die Zwillinge ihre Welt verlassen hatten, öffneten sie die Augen.
Und was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume ...
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Nur weil wir nicht immer und überall den Sieg und den Triumph des Lichtes über die Finsternis sehen können, so wird doch das Licht siegen über die Finsternis.

LI-XXXI
Einst lebten eine alter Mann und ein kleiner Junge. Der alte Mann hieß Sartebus und der Junge Jus. Jus war ein Waisenkind und lebte ganz für sich allein. Er zog von Dorf zu Dorf, auf der Suche nach Essen und einem Dach über dem Kopf. Doch es gab noch etwas, nach dem er suchte. Jus suchte nach einer Einsicht. "Warum", fragte er sich, "sind wir ein Leben lang auf der Suche nach etwas, das wir nicht finden können? Machen wir es uns selbst schwer, oder soll es einfach so sein, dass wir uns so plagen?"
Auf seinem Weg traf er eines Tages einen alten Mann, und der, so hoffte Jus, ihm vielleicht die eine Antwort geben konnte. Der alte Mann trug auf seinem Rücken einen großen, zugedeckten, geflochtenen Korb, der sehr schwer zu sein schien. Eines Tages machten sie Rast an einem Bach. Der alte Mann stellte erschöpft seinen Korb auf den Boden. Er schien so schwer zu sein, dass selbst ein viel jüngerer und stärkerer Mann ihn wahrscheinlich nicht sehr lange hätte tragen können. "Weshalb ist denn dein Korb so schwer?" fragte Jus Sartebus. "Ich würde ihn gerne für dich tragen." "Nein, den kannst du nicht für mich tragen", antwortete der alte Mann. "Den muss ich ganz alleine tragen."
Viele Tage und Wege gingen Jus und der alte Mann zusammen. So sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht herausfinden, was für ein schwerer Schatz sich wohl in dem Korb befand. Erst als Sartebus nicht mehr weitergehen konnte und sich ein letztes Mal zur Ruhe legte, erzählte er dem jungen Jus sein Geheimnis.
"In diesem Korb", sagte Sartebus, "sind all die Dinge, die ich von mir selbst glaubte und die nicht stimmten. Auf meinem Rücken habe ich die Last jedes Kieselsteines des Zweifels, jedes Sandkorns der Unsicherheit und jedes Mühlsteines des Irrweges getragen, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe. Ohne sie hätte ich die Träume verwirklichen können, die ich mir so oft ausgemalt habe."
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Wir sind oft wie Sortebus, und tragen die Last unseres ganzen Lebens auf dem Rücken. All die unerfüllten Wünsche und Träume. So können wir keine großen Sprünge machen.
Jedoch wusste Sortebus nicht, dass er einfach nur die Mühlsteine in seinem Korb hätte wegwerfen können. So müssen wir lernen das von uns zu werfen, was uns gefangen hält in unserer Vorstellung. So prächtig hat uns Bahamuth einen Verstand gegeben, herauszufinden wozu wir wirklich in der Lage sind.


LI-XXXII
Einst war ein junger Novize, der schnell ausrastete und ärgerlich wurde. Sein Meister gab ihm einen Hammer und einen großen Beutel voller Nägel. Jedes Mal, wenn er ausrastete, sollte er lieber einen Nagel in den Zaun hinter dem Kloster schlagen, als seine Wut an anderen auszulassen.
Am ersten Tag schlug der Novize 30 Nägel in den Zaun. Die Tage vergingen und mit ihnen nahm auch die Zahl der Nägel ab, die der Novize in den Zaun schlagen musste. Er fand heraus, dass es einfacher war, nicht auszurasten, als Nägel in den Zaun zu schlagen.
Schließlich kam der Tag, an dem der Novize überhaupt nicht mehr ausrastete. Er sagte dies seinem Meister und der riet ihm nun, für jeden Tag, an dem er nicht mehr ausrastete, einen Nagel wieder herauszuziehen. Wieder vergingen etliche Tage und schließlich konnte der Novize seinem Meister berichten, dass er alle Nägel herausgezogen hatte. Der Meister nahm seinen Novizen bei der Hand und ging mit ihm zum Zaun.
Er sagte: "Das hast du gut gemacht, mein Novize. Ich bin sehr stolz auf dich.
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Schau dir all die Löcher im Zaun an. Der Zaun ist nicht mehr der, der er einmal war. Denke daran, wenn du das nächste Mal etwas im Ärger zu anderen sagen willst. Deine Worte könnten eine Narbe hinterlassen so wie die Nägel ihre Spuren im Zaun hinterlassen haben. Auch wenn du sagst, dass es dir Leid tut, die Wunde ist dennoch da.

LI-XXXIII
Einst war das Gold in der unergründlichen Tiefe der Augen des Mädchens, das dich verlockte vom Wasser zu kosten.
Es schmeckte süß und je mehr du davon trankst um so durstiger wurdest du.
Der Zauber wirkte.
Nun bist du, der du zu den Herren des Waldes gehörtest, selbst zum gehetzten Wild geworden.
Ich aber muss schweigen.
Ich lege mir dieses Gelübde freiwillig auf- aus übergroßer Liebe zu dir.
Wirst du je wieder so vor mir stehen, wie du einst davongegangen bist?
So vernehmet die Lehre Bahamuths:
Nehmt euch eine Frau und gründet eine Familie. So ihr denn in Bahamuths Namen eine Familie gegründet habt, so bleibt eurer Familie treu und zerstört nicht das Glück, welches euch Bahamuth geschenkt hat dadurch, dass ihr eure Frau nicht mehr ehrt.

LI-XXXIV
Einst war aus der knorrigen, großen Eiche, die ganz allein auf der großen Wiese stand, weit entfernt vom Wald, ein einsamer, verbitterter Baum geworden. Sie war stolz und arrogant und redete mit Niemandem. Keiner wusste, wieso dem so war. Es war immer schon so gewesen.
Eines Morgens wollte sich ein Grashalm, ganz in der Nähe einen Spaß machen und den Baum ein wenig aus der Reserve locken, etwas aus ihm hervorkitzeln.
„Du bist ja wirklich ein schöner Baum und du wirkst so stark und mächtig, aber ich sage dir, wenn du Goliath bist, dann bin ich David. Ich bin viel klüger als du und dir haushoch überlegen.“ Begann der kleine Grashalm zu prahlen.
Der Baum zeigte keinerlei Regung, seine Blätter wehten stoisch im Wind und nur ein kleines Vibrieren des Bodens, verriet, dass er in sich hineinlachte, den kleinen Grashalm keinen Glauben schenkend.
„Du glaubst mir wohl nicht, du Riese. Denkst, ich bin klein und schwach und will dich ja doch nur ärgern. Doch du wirst sehen, eines Tages wirst du erkennen müssen, dass es die Wahrheit ist.“
Der Grashalm gab es auf, mit der Eiche ein Gespräch zu suchen. Wenn sie so stur war und einsam bleiben wollte. Bitte, sollte sie das doch tun. Er vergaß sie und kümmerte sich nicht weiter um den schweigsamen Nachbarn. Er wehte friedlich mit dem Wind, der immer stärker wurde und freute sich seines Lebens.
Der Wind wurde immer stärker, wurde zum Sturm und als die Dämmerung anbrach, zum Orkan. Er wirbelte alles durcheinander, blies stärker und wurde immer wilder.
Der Grashalm fürchtete sich schon ein wenig, aber er leistete keinerlei Widerstand. Er zappelte wild mit dem Sturm und freute sich seines Lebens.
Der Baum aber stemmte sich mit all seiner Kraft gegen den Sturm, seine Wurzeln tief in der Erde hielten sich so fest sie nur konnten. Die alte Eiche war groß und dick, knorrig und ihre Wurzeln reichten weit in das Erdreich hinein. Der Baum lachte laut, machte sich lustig über den Sturmwind und amüsierte sich über den kleinen Grashalm, der vom Wind hin und her gebeutelt ~wurde, während er nur ein paar Blätter verlor.
Der Sturm, wütend über die Arroganz des Baumes, legte sich schwer ins Zeug. Er wirbelte noch fürchterlicher auf der Wiese herum.
Die Eiche, die sich zuvor über den Wind gelacht hatte, wurde nun ruhiger. Sie hatte keine Zeit mehr zum Lachen, musste sich darauf konzentrieren, dem Sturm die Stirn zu bieten, aber klein bei geben würde sie nicht. Nein. Niemals!
„Gib doch auf!“ rief der Grashalm.
„Mach´es wie ich. Gib´nach, bewege dich mit dem Sturm, leiste keinen Widerstand!“
„Ja, gib auf!“blies der Sturmwind.
Doch die Eiche war zu stolz.
„Niemals“ brüllte sie. Das erste Wort in fünfhundert Jahren.
Da kannte der Stumrwind kein Pardon mehr. Er blies noch heftiger und mit einem lauten Krachen fiel der Baum schließlich zu Boden, mitsamt seinen Wurzeln hatte der Sturm ihn aus der Erde gerissen.
Dann zog er weiter.
Der Grashalm, der ganz ruhig auf der Wiese stand, blickte traurig auf den gefallenen, sterbenden Baum.
„Wieso hast du nicht aufgegeben? Manchmal kann man nur siegen, wenn man verliert.“ Sagte er leise. Er stand ganz still und weinte um die stolze Eiche.
So vernehmet die Lehre Bahamuths
Verteidigt euch und die euren mit ganzer Kraft. Erkennt jedoch, wenn es sinnlos ist sich gegen etwas zu stellen, das sowieso nur vorüber zieht.
OT Anmerkung
Dies soll NICHT den Bahamuthis Gleichgültigkeit gegenüber der Finsternis lehren, sondern sinnlosem Zwist unterhalb der Bahamuthis den zerstörerischen Aspekt nehmen.

LI-XXXV
Einst stand ein junger Mann mitten in der Stadt und erklärte, dass er das schönste Herz im ganzen Tal habe. Eine große Menschenmenge versammelte sich und sie alle bewunderten sein Herz, denn es war perfekt. Es gab keinen Fleck oder Fehler in ihm.
Ja, sie alle gaben ihm recht, es war wirklich das schönste Herz, was sie je gesehen hatten. Der junge Mann war sehr stolz und prahlte lauter über sein schönes Herz.
Plötzlich tauchte ein alter Mann vor der Menge auf und sagte: "Nun, dein Herz ist nicht mal annähernd so schön wie meines." Die Menschenmenge und der junge Mann schauten das Herz des alten Mannes an. Es schlug kräftig, aber es war voller Narben, es hatte Stellen, wo Stücke entfernt und durch andere ersetzt worden waren. Aber sie passten nicht richtig und es gab einige ausgefranste Ecken. Genauer an einigen Stellen waren tiefe Furchen, wo ganze Teile fehlten. Die Leute starrten ihn an. Wie kann er behaupten, sein Herz sei schöner, dachten sie.
Der junge Mann schaute auf des alten Mannes Herz, sah dessen Zustand und lachte. "Du musst scherzen", sagte er, "dein Herz mit meinem zu vergleichen. Meines ist perfekt und deines ist ein Durcheinander aus Narben und Tränen."
"Ja", sagte der alte Mann, "deines sieht perfekt aus, aber ich würde niemals mit dir tauschen. Jede Narbe steht für einen Menschen, dem ich meine Liebe gegeben habe. Ich reiße ein Stück meines Herzens heraus und reiche es ihnen und oft geben sie mir ein Stück ihres Herzens, das in die leere Stelle meines Herzens passt. Aber weil die Stücke nicht genau sind, habe ich einige raue Kanten, die ich sehr schätze, denn sie erinnern mich an die Liebe, die wir teilten. Manchmal habe ich auch ein Stück meines Herzens gegeben, ohne dass mir der andere ein Stück seines Herzens zurück gegeben hat. Das sind die leeren Furchen. Liebe geben heißt manchmal auch, ein Risiko einzugehen. Auch wenn diese Furchen schmerzhaft sind, bleiben sie offen und auch sie erinnern mich an die Liebe, die ich für diese Menschen empfinde. Und ich hoffe, dass sie eines Tages zurück kehren und den Platz ausfüllen werden. Erkennst du jetzt, was wahre Schönheit ist?"
Der junge Mann stand still da und Tränen rannen über seine Wangen. Er ging auf den alten Mann zu, griff nach seinem perfekten , jungen und schönen Herzen und riss ein Stück heraus. Er bot es dem alten Mann mit zitternden Händen an. Der alte Mann nahm das Angebot an, setzte es in sein Herz. Er nahm dann ein Stück seines alten, vernarbten Herzens und füllte damit die Wunde des jungen Mannes Herzens. Es passte nicht perfekt, da es einige ausgefranste Ränder hatte. Der junge Mann sah sein Herz an, nicht mehr perfekt, aber schöner als je zuvor, denn er spürte die Liebe des alten Mannes in sein Herz fließen. Sie umarmten sich und gingen weg, Seite an Seite.
So vernehmet die Lehre Bahamuths
Liebet einander und schenkt euch gegenseitig eure Herzen. Wahre Schönheit liegt nicht in der Makellosigkeit!

LI-XXXVI
Einst hatte ein König einen weisen aber immer optimistischen Berater. Egal was auch passierte, immer fand der Berater gutes darin. Dies ärgerte den König sehr.
So begab es sich, dass beide einen Aussritt machten. Als der König sein Schwert schärfte, rutschte seine Hand ab und das scharfe Schwert schnitt ihm den rechten Daumen ab. Aufgebracht fuhr der König seinen Berater an: "und, wo ist jetzt das Gute an diesem Unglück?"
Der Berater senkte sein Haupt: "König, ihr werdet es sehen!"
Voller Zorn warf der König seinen Berater in einen ausgetrockneten Brunnenschacht und ritt alleine los. Plötzlich jedoch fielen üble Blutmagier über ihn her. "Wir werden dich heute abend noch unserem Gott opfern!" Als sie jedoch die verstümmelte Hand sahen, ließen sie ab. "Unser Gott fordert unversehrte Körper"
Der König erinnerte sich an seinen Weisen Berater, ritt zurück und holte ihn aus dem Brunnenschacht. Dieser grinste vor sich hin.
"Gut gut, in dem Punkt hattest du recht. Aber worin bestand jetzt dein Glück, dass ich dich einen halben Tag im Brunnenschacht lies?" "Herr, das ist ganz einfach. Hättet ihr mich nicht in den Schacht geworfen, hätten die Blutmagier mich an eurer Stelle geopfert."
So vernehmet die Lehre Bahamuths
Blickt froh in die Zukunft. Denn was immer auch die Zukunft bringen mag, Bahamuth wacht und beschützt die Seinen.

LI-XXXVII
Einst waren zwei Geschwister. Der Bruder ward blind von Geburte an, die Schwester dagegen lahm.
Als die Ernte ausblieb und der Hunger kam, wurden die Kinder den Eltern eine zu schwere Last. Sie führten die Kinder in die Berge und überließen sie der Einsamkeit.
So die Kinder bemerkten, daß sie allein gelassen waren, überkam sie große Furcht. Wußte doch der Bruder, daß er tief stürzen würde, sollte er einen falschen Schritt wagen. Wußte doch auch die Schwester, daß sie nicht vom Flecke kam, da sie nicht zu laufen vermochte.
Aus dieser Furcht heraus riefen sie einander. Da sie sich aber hörten, wagten sich beide sacht voran. Der eine tastend, die andere kriechend, bis sie sich schließlich fanden.
Da nahm der Bruder die Schwester auf den Rücken und schenkte ihr so die Kraft seiner Beine. ~Sie aber hob ihr Haupt und schaute nach dem Wege. So schenkte sie ihm die Gabe ihrer Augen. Auf diese Art vereint begannen sie ihren Weg und überwanden das Gebirge.
Suchet also einander, denn wir alle sind unvollkommen und ausgesetzt. Doch stets wird sich in einem anderen die Gabe finden, die uns selbst nicht geschenkt ward.


LI-XXXVIII
Einst war ein Reisender vom Wege abgekommen. Da traf ein Bote auf ihn und rief : "Was steht Ihr hier allein ?
"Ich warte auf einen Freund !"
versetzte der Reisende und ließ den Boten weiter reiten, denn er glaubte den Weg schon erinnern zu Können.
Nach einer Weile kam ein Bauer vorüber und rief:
"Hat der hohe Herr sich wohl verlaufen ?"
"Nein, ich warte auf den lahmen Tross !" versetzte der Reisende, denn einem Bauern wollte er keine Blöße zeigen.
Schließlich kam ein Räuber des Wegs und erschlug den Reisenden.
So erreichte dieser nie sein Ziel.


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